Kennengelernt habe ich Marion als Mandantin. Ich war junger Anwalt. Sie hatte sich - der politischen Arbeit des KB folgend- bei Beiersdorf ans Fließband binden lassen, war zur Betriebsrätin gewählt worden, hatte Konflikte mit dem Kapital geschürt und benötigte dann meine rechtliche Unterstützung. Ihr konsequenter und selbstloser Einsatz für ein politisches Projekt hat mich damals erstaunt und wohl auch beunruhigt.
Jahre später hat Marion den großen Schritt vom Fließband in die Anwaltskanzlei geschafft. Sie hat von mir das Arbeitsgebiet Arbeitsrecht übernommen. Marion hatte die Hoffnung, als Anwältin ihre politische Arbeit fortsetzen können. Die politische Entwicklung - die Konjunktur, die Entpolitisierung der Werktätigen und die Reformgesetzgebung im Arbeitsrecht - hat ihren Zielen deutliche Grenzen gesetzt.
Im gerichtlichen Alltagsgeschäft, der Vereinbarung von Abfindungen, war Marion eine äußerst geschickte Verhandlerin. Oft kam sie nach langwierigen Verhandlungen in mein Zimmer, knallte die Akte auf den Tisch, lachte und freute sich und berichtete, wie sie zum Wohle der Mandanten erfolgreich gepokert hatte.
Später hat Marion von mir auch das Ausländer- und Asylrecht übernommen. Sie musste heftig gegen Vorbehalte von Männern kämpfen und der Umgang mit der Ausländerbehörde erforderte Geduld und Leidensfähigkeit. Ich habe bewundert, wie Marion es geschafft hat, sich durchzusetzen und wie lange sie diese schwierige und oft frustrierende Arbeit ertragen hat. In einer Zeit, in der der Begriff „Asylant“ seine pejorative Bedeutung bekam, war das politische Arbeit.
Marion war Antifaschistin und sie hat konsequent gegen rechte Entwicklungen in der Gesellschaft Stellung bezogen. Ich erinnere an eine großartige Aktion unserer Sozietät: Es wurde 1997 bekannt, dass der Galerist Schlüter im Hause unserer Kanzlei, in der Kirchenallee 25, eine Verkaufsausstellung von Fotografien der Leni Riefenstahl durchführen wollte. Marion war sofort klar: „Da kommen die Rechten ins Haus gepilgert. Das will ich nicht.“ Wir haben ein professionelles Plakat an die Fassade gehängt: „Hitlers Fotografin immer noch aktiv, 1936 die Propaganda – 1997 das Geschäft“. Das war ein großer Erfolg: Die internationale Presse hat berichtet und Frau Riefenstahl und die Rechten sind weggeblieben.
Marion war eine Kümmerin. In meinen letzten Berufsjahren hat sie mich unterstützt, als ich durch eine Hörbehinderung manchmal nur eingeschränkt telefonieren konnte. Manches Telefonat hat sie mir dann abgenommen und mir meine Arbeit erleichtert.
Das werde ich nicht vergessen.
Winfried Günnemann