Sie ist mir fremd. Da sitzt sie nun am runden Tisch, an dem wir jeden Mittwoch unsere Bürobesprechung abhalten. Jetzt also mit der „Neuen“. Hoch gewachsen, schlank, aufrechte Haltung, ernsthafte Mine. Sie ist schön anzusehen. Bernd hat sich sehr für sie eingesetzt. Er kennt sie aus der Arbeit mit der GAL. Da war sie seine Nachfolgerin. Ich bin skeptisch, fürchte ich die Konkurrenz, Bange ich um meine Vorrangstellung als „Sozietätsbegründerin"? Macht mir ihre konsequente politische Haltung Angst? Winfried freut sich auf sie. Er hat sie als Mandantin im Büro Jacobi kennengelernt. Sie will sich auf Arbeitsrecht und Ausländerrecht spezialisieren, zwei seiner Fachgebiete.
Ich höre ihr gerne zu. Sie spricht klar, wirkt sicher, ihre Argumente überzeugen. Sie wird eine Bereicherung sein, denke ich. Wie recht ich haben sollte, konnte ich damals noch nicht ahnen.
Langsam wuchs eine Freundschaft zwischen uns. Unsere Gespräche verließen bald den Rahmen des Büros. Ihr ging eine langjährige Freundschaft in die Brüche. Wir suchten gemeinsam nach Ursachen. Sie vertraute sich mir an, wir waren uns unserer gegenseitigen Loyalität bald sicher.
Das Projekt "Schwiepke“ führte zu einer neuen und intensiveren Phase. Jetzt waren unsere „Kerle“ einbezogen. Als das große Haus stand, waren Claus und ich voller Bewunderung für so viele handwerkliche Fähigkeiten. Sie hat heute das Bad ohne fremde Hilfe gefliest. Daran muss ich seither immer denken, wenn ich dort unter der Dusche stehe. Die Art von Wend-Land-Leben, dass die beiden dort führten, war ganz nach unserem Geschmack. Im August im Liegestuhl Sternschnuppen zählen. Rainer richtete die Liegen her, sie servierte kühlen Wein. Kühl musste er sein, darauf legt sie Wert. Im Herbst die große Hecke schneiden. Claus und ich hatten die Patenschaft für die Hecke übernommen. Abends begünstigte uns Rainer mit überaus wohlschmeckenden Mahlzeiten. Radfahren mit Picknick unter Rainers Führung bei jedem Wetter. Sie bewunderte „ Ihren Raini“. Auch dafür habe ich sie sehr gemocht, die Offenheit, mit der sie ihre Gefühle für ihn zeigen mochte.
Nach Klaus Diagnose organisierte sie eine ganz besondere Art des „Essens auf Rädern“. Einmal die Woche kamen Rainer und sie mit einem vollständigen Menü für vier Personen in unsere Küche. Wir aßen, tranken, redeten.
In der Zeit zwischen Claus Tod und der Trauerfeier konnte ich mir keinen besseren Ort als Schwiepke vorstellen. Sie nahm mich in ihre Obhut, ließ mich reden, auch über meine Angst vor der Trauerfeier, sie schwieg mit mir. Ich bin dankbar, dass sie meine Freundin ist.
Renate Eckoldt